Es war einmal.. Halt, stopp. So beginnen vielleicht die Märchen zweier ganz berühmter Brüder, aber meine Geschichte, die ich euch heute berichten will, die ist kein Märchen. Nein, meine Geschichte ist eine wahre Begebenheit. Wer ich überhaupt bin? Gestatten mein Name ist Ruby. Und ich bin ein Elch. Nein, kein gewöhnlicher Elch. Und nicht irgendein Elch, nein, meine Lieben. Ich bin Ruby, der Weihnachtselch! Was, das glaubt ihr mir nicht? Dann hört mir mal ganz genau zu, was ich euch zu berichten habe!
Sicherlich kennt ihr alle das Rentier Rudolph. Ja, genau der Rudolph mit der roten Nase. Richtig, das ist ein Cousin 2. Grades meines Vaters Roberts. Und genau wie Rudolph ist es meine Aufgabe mit dem Weihnachtsmann die Geschenke für die Kinder auf der ganzen Welt zu verteilen. Und nur ganz besondere Elche werden zum Weihnachtselch erkoren. Ob ihr es mir glaubt oder nicht, ich bin bisher der einzige meiner Art. Denn nur Elche, die genau zu dem Zeitpunkt am Weihnachtsabend geboren werden, wenn der Weihnachtsmann mit seinem Schlitten am Himmel zu sehen ist, denen ist es bestimmt die Aufgabe fort zu führen. Meine Familie ist mächtig stolz auf mich.
Dennoch habe ich mein kleines Geheimnis für mich behalten, denn glaubt mir, so ein Weihnachtselch wäre sicherlich eine Sensation. Denn wer hat denn schon mal einen fliegenden Elch gesehen? Richtig, ihr sicherlich nicht. Bevor ich euch nun meine Geschichte erzähle, muss ich noch erwähnen, wo ich lebe. Warum das wichtig ist? Weil dort alles begann. Ich lebe nämlich in einem Menschenhaus. Falls ihr euch nun fragt, was denn bitteschön ein fliegender Weihnachtselch in einem ganz normalen Haus macht, kann ich euch diese Frage schnell beantworten: ich lebe nämlich im Zimmer der kleinen Hannah. Einem fünfjährigen Menschenkind.
Und ich steh da nicht einfach so rum, nein ich klebe an der Wand. Denn tagsüber bin ich einfach nur ein Wandtattoo. Ihr werdet lachen und denken, dass ich euch verulken will. Nein, keinesfalls, das ist die Wahrheit. So wahr ich Ruby heiße! Wo waren wir stehen geblieben? Ach ja genau, tagsüber also bin ich ein Wandtattoo und nachts, wenn die kleine Hannah schläft, dann erwache ich zum Leben. Eins, zwei, drei im Sauseschritt bin ich zum Fenster raus geflogen und binnen weniger Sekunden lande ich auch schon am Nordpol, um für die große Schlittenfahrt zu trainieren. Meine Freunde, die Rentiere und ich, wir müssen nämlich ständig in Übung bleiben, wisst ihr.
Nun möchte ich euch aber endlich meine Geschichte erzählen, die alles veränderte. Sie beginnt damit, dass die kleine Hannah am Weihnachtsmorgen aufwachte, an die Wand blickte und ein trauriges Geschrei los ließ: „Mama, Mama, Ruby ist weg!“ Was war passiert? Das werde ich euch nun berichten.
Wie aufgeregt ich war, wie ein kleines Elchenkind an Weihnachten und Geburtstag zusammen. Na gut, okay, das war bei mir ja nichts außergewöhnliches mehr. Dann also wie ein Elchenkind an Weihnachten, Geburtstag und Ostern zusammen. Dann trifft`s schon eher. Heute war der Abend! Der Abend, auf den ich schon so lange gewartet hatte. Heute Nacht würden wir losfliegen und die Geschenke für alle Kinder auf der Welt verteilen. Aber natürlich nur an die artigen Kinder! Als die kleine Hannah endlich schlief, machte ich mich auf den Weg, ich streichelte die kleine noch kurz und flüsterte leise, dass ich morgen früh wieder da sein würde und sicherlich ein paar Geschenke mitgebracht hätte.
Als ich am Nordpol landete, warteten schon alle ungeduldig. Was konnte ich denn dafür, dass meine kleine Hannah ausgerechnet heute so aufgeregt war, dass sie eine Stunde später ins Bettchen gegangen war, als sonst immer. Nun konnte es endlich losgehen. Rudolph war unser Anführer und ich flog gleich rechts hinter ihm. Der Weihnachtsschlitten war voll bepackt und singend machten wir uns auf die weite Reise. Unser „Jingle Bells“ hörte man bis weit in die Nacht hinein. Wir kamen gut voran und so fehlte uns nur noch ein Haus, wo ein kleiner kranker Junge lebte und hoffte, dass er reich beschenkt werden würde.
Wir waren gerade im Landeanflug, der kleine Jonas wohnte nur drei Häuser von meinem Zuhause entfernt, als plötzlich ein lautes Donnergrollen den Himmel erfüllte. Erschrocken blieb ich stehen, Comet und Dasher, die gleich hinter mir liefen, prallten unsanft auf mich auf. Rudolph kam ins Straucheln – ja, meine Lieben, auch in der Luft ist das möglich – und so gerieten wir alle aus dem Gleichgewicht, dass unser Weihnachtsschlitten gefährlich ins Schleudern geriet. Und so kam das, was kommen musste und wir fielen, wie ein Sack Reis, einfach so vom Himmel. Glücklicherweise wurden wir vom puderweichen Schnee auf dem Dach meines Zuhauses abgefangen und landeten so ziemlich weich und keiner wurde verletzt.
Alle hatten sich von dem Schrecken erholt, aber gerade, als wir wieder starten wollten, ertönte das Donnern erneut. Und diesmal folgten grellleuchtende Blitze, die uns den Atem anhalten ließen. Und dann sahen wir, was oder eher gesagt wer, das ganze Spektakel ausgelöst hatte. Auf einem Besen, mit einem bösen Lachen auf den Lippen kam uns die Hexe Medea entgegen geflogen. Ihr wisst schon, so ein gemeines Hexenlachen. Ich kann das jetzt so schlecht beschreiben. So ein böse „hihihihi“. Ja, genau so eins. Wie gesagt, da kam sie nun angeflogen und sicherlich hatte sie keine guten Absichten im Sinne. Und ehe der Weihnachtsmann was sagen könnte, schwang sie ihren Zauberstamm und brachte ihn zum Schweigen, indem sie ihm einfach den Mund zugeklebt hatte.
„Hat hier noch jemand was dagegen, dass ich die Geschenke stehle?!“, fragte sie mit einem falschen Lächeln auf den Lippen. Meine Freunde, die Rentiere gingen alle einen Schritt nach hinten, so dass ich der Einzige war, der noch vorn stand. Tolle Freunde hab ich da, dachte ich mir. „Und ob ich was dagegen habe!“, sagte ich mit fester Stimme. Zumindest hoffte ich, dass sie fest klang, denn ehrlich gesagt schlotterten mir meine Elchknie! Und das auch aus gutem Grunde, denn was jetzt passierte übersteigt sicherlich eure Vorstellungskraft. Mit funkensprühendem Zauberstab murmelte sie etwas und ehe ich mich versah hatte sie mich verhext.
Mit großen Augen blickte ich an mir hinunter und brachte nur ein jämmerliches Quicken über die Lippen. Denn ich war kein Elch mehr, sondern ich war eine kleine Maus. „Noch jemand was dagegen?“ Die Rentiere schüttelten alle hastig die Köpfe und so gelang es der bösen Hexe, die letzten Geschenke für den kleinen Jonas zu stehlen und mit einem bösen Lachen machte sie sich wieder aus dem Staub. Nicht ohne mir noch zu zurufen, dass mich nur eine wahre Zauberin, ihrer ebenbürtig, befreien konnte, die sich in mich verliebte und mich mit einem Kuss erlöste. Ich ließ mein kleines Mäuseköpfchen hängen. Wer sollte sich schon in eine graue Maus verlieben? Und wo sollte ich eine Zauberin finden?
„Ruby!“, hörte ich Rudolphs erschrockene Stimme, als ich plötzlich Felix, den Kater meiner Familie erblickte! „Ich bin es Felix!“, rief ich aufgeregt, doch er erkannte mich nicht. Wie denn auch?! Mit einem hastigen Quicken stürzte ich mich blindlings in den Kamin und betete, dass ich das heil überstehen würde. Doch das Glück war mir hold, zwar war ich nun in eine kleine Maus verwandelt, aber meine Fähigkeit zu fliegen, die hatte ich nicht verloren. Gottseidank, denn so segelte ich ganz leicht den Kamin hinunter und landete auf allen vieren. Es war schon kurz vor Sonnenaufgang und da Hannah sicherlich keine Maus an der Wand haben wollte, verkroch ich mich unter dem Bett bevor sie aufwachen würde.
Was am Morgen geschah, dass wisst ihr ja schon. Die kleine Hannah, die weinend feststellte, dass ich nicht mehr da war. Überall suchten sie mich, doch leider ohne Erfolg. Und so ging die kleine, trotz der reichlichen Geschenke, abends ganz unglücklich ins Bettchen und wünschte sich ihren Ruby zurück. Genauso traurig erwachte ich wieder zum Leben und schlich mich in den Wald, wo ich bittere Tränen vergoss. So ging das die nächsten fünf Tage. Durch den ganzen Wald hallten die Rufe meiner neun Rentier- Freunde, doch ich versteckte mich. Ich schämte mich einfach zu sehr und wollte niemanden sehen. Heute war der letzte Tag des alten Jahres und ich weinte wieder, als sich plötzlich jemand neben mich setzte und ich auf blickte.
„Du bist Ruby, stimmt`s?“ „Woher weißt du das denn?“, fragte ich ungläubig Petz, den Braunbären. „Ich kenne jedes einzelne Tier hier in meinem Walde, aber du.. Du bist neu hier. Und seit Tagen suchen die Rentiere einen Ruby. Also habe ich eins und eins zusammen gezählt.“ Ich nickte betrübt. Und dann erzählte ich ihm, was wirklich mit mir geschehen war. Petz hörte aufmerksam zu und dann strahlte er übers ganze Gesicht und sagte, dass er mir gern jemanden vorstellen wollte. Mit hängenden Mäuseschultern ging ich mit, da ich ja eh nichts anders vor hatte. Und dann sah ich sie.
Die wunderschönste Elchendame, die ich je gesehen hatte. Mein Herz schlug augenblicklich Purzelbäume und ich piepste ganz aufgeregt. „Hallo Ruby!“, lächelte sie mich an. Fast kippte ich um. Aber nur fast, wie würde das denn aussehen? Genau, peinlich wäre das. Aber ganz schön peinlich. Petz erzählte ihr meine Geschichte und als er geendet hatte, lächelte sie. Oh wow, das war das schönste Lächeln aller Zeiten. „Ich kann dir helfen, Ruby!“, sagte sie mit engelsgleicher Stimme. „Wirklich?“, piepste ich. „Ja, wir werden der Hexe die Geschenke wieder abnehmen und dem kleinen Jonas vorbei bringen!“ Ach so, das meinte sie. Wäre ja zu schön gewesen um wahr zu sein. Und außerdem, warum sollte ausgerechnet eine Elchendame eine mächtige Zauberin sein? Ich seufzte. Und mein Mäuseherz wurde mir schwer, als ich feststellte, dass ich mich Hals über Kopf in sie verliebt hatte. Liebe auf den ersten Mäuseblick. Traurig ließ ich den Kopf hängen. „Alles okay Ruby?“, fragte sie mich. Ich nickte tapfer, so gut es eben irgendwie ging.
Dann erklärte sie mir, dass die Hexe heute nicht da wäre, weil sie heute auf einem Hexentreffen war und erst morgen zurück kommen würde und wir so die Möglichkeit hätten uns die Geschenke wieder zu holen. Ich brauchte nur durch das Schlüsselloch zu kriechen, den Schlüssel zu suchen und dann könnte ich ihr die Tür öffnen. Und so standen wir nun in dem Hexenhaus und holten uns das zurück, was die böse Medea gestohlen hatte und brachten es dem kleinen Jonas. Als wir vor dem Haus standen, fragte ich sie, wie wir es denn nun durch den Schornstein schaffen wollten, ich wäre ja viel zu klein um mit den Geschenken hoch zu fliegen. „Dann mach ich das eben!“, lächelte sie. Wie? Ich war völlig perplex. „Du.. Du meinst..“, stotterte ich, als sie auch schon abhob. Wow, meine Mäuseaugen wurden riesengroß, meine neue Freundin war eine echte Weihnachtselchin! Vor Staunen blieb mir der Mund offen stehen, als sie lachte. „Komm schon Ruby, noch nie einen fliegenden Elch gesehen?“ Nun konnte ich auch endlich Lächeln.
Leise hatten wir uns in Jonas Zimmer geschlichen und stellten seine Geschenke ab. Zwar verspätet, aber besser als nie. Und als ich genauso leise, wie ich gekommen war, wieder hinaus huschte, sah ich mich nur kurz um, um zu schauen, was meine Freundin machte, als ich sah, dass sie den kleinen Jungen grad küsste. Verwundert fragte ich mich, was sie da tat und wartete, bis sie mich begleitete. Das Leuchten, was das Zimmer umgeben hatte, bemerkte ich gar nicht, weil ich nur noch Augen für sie hatte. Als wir wieder auf dem Dach waren, fragte ich sie, warum sie den kleinen Jungen geküsst hatte.
Sie lächelte mich an und erzählte mir dann, dass sie einmal im Jahr einen Wunsch frei hätte und diesen Wunsch hatte sie sich bis zum Schluss aufgehoben um den kleinen Jungen zu heilen. Ein kleines Tränchen rann über mein Gesicht, weil ich so viel Nächstenliebe noch nie gesehen oder erlebt hatte. Und dann beugte sie sich plötzlich über mich. Unsere Augen trafen sich und aufmunternd nickte sie mir zu, als sich unsere Lippen berührten.
Mit einem lauten Knall und tausenden Sternchen, die die Luft erfüllten stand ich plötzlich wieder in meiner wahren Gestalt da. Ich riss meine Augen auf und konnte nur noch wirres Zeug stammeln. Meine Elchfreundin schmunzelte. „Ruby, ich bin eine echte Zauberin!“, erklärte sie mir mit leuchtenden Augen. „Ich bin die Schwester der Hexe. Sie hat mich ebenfalls verhext, weil ich ihre größte Konkurrentin war und nur derjenige, der sich wirklich in mich verliebte, so wie ich bin, konnte mich durch einen Kuss erlösen!“ Ich starrte sie ungläubig an. „Aber.. aber..“, stotterte ich, „..du bist doch immer noch ein Elch!“ Sie nickte glücklich. „Ja, denjenigen, der mich wirklich liebt, in dieser Gestalt werde ich fortan leben! Natürlich nur wenn du mich auch willst!“, fügte sie leise hinzu! Ob ich sie wollte? Na was war das denn für eine Frage. Ich sprang vor Freude in die Luft und dann fiel mir ein, dass ich doch noch nicht einmal ihren Namen kannte.
„Wie heißt du eigentlich?“, fragte ich sie aufgeregt. „So eine wunderschöne Dame muss doch sicherlich auch einen ebenso wunderschönen Namen haben!“, fügte ich lächelnd hinzu. Glaubt mir, auch Elche können rot anlaufen! Ich hab`s mit eigenen Augen gesehen! Sie senkte ihren Blick zu Boden, als sie sagte: „Ich heiße Rubina!“ Wow. Mir verschlug es die Sprache.
Lächelnd flogen wir gemeinsam zurück in den Wald um Petz alles haarklein zu erzählen. Und als die Sonne langsam aufging, sagte ich meiner kleinen Rubina, dass ich nun leider zurück müsste. Sie fragte mich, ob ich sie mitnehmen würde. Und ob ich das tun würde! Nichts lieber als das. Und so erklang am Neujahrsmorgen ein fröhliches Kinderlachen und eine strahlende Hannah rief voller Freude: „Mama, Mama, Ruby ist wieder da und er hat sogar noch jemanden mitgebracht!“